Eine Zeit lang gabt es nur die Leere. Ohne Sterne. Kalt, schwarz, leer. Ich schwirrte gewichtslos wie ein Geist umher, im Kreis drehte ich mich, immerzu herum, es nahm kein Ende, aber das war mir egal.
Eine Zeit lang hatte ich kein Gehirn und keinen Körper. Und das war für mich in Ordnung. Ich konnte schon das Licht am Ende des Tunnels sehen. Es kam immer näher und wurde immer heller. Langsam hatte ich auch wieder Arme und Beine. Und ich lag auf etwas das Hart ist. Und kalt. Kalt und Hart. Wie auf der Krankenstation im Knast. Oder wie bei einem Metzger. Mir wird klar, daß ich nicht tot bin, sondern gerade wieder aufgewacht. Und zwar in einem Raum in dem der Fußboden gefliest ist.

Ich hustete einen Zahn und diverse rote Brocken aus, die ich nicht näher untersuchen wollte. Mir tat alles weh, die Luft die ich in meine Lungen saugte schmeckt kalt und hart und nach dem Blut, das mir das Gesicht verkrustete. Vorsichtig versuchte ich meine Augen freizuwischen und den Schorf aus meinem Gesicht zu kratzen. Das erste worauf mein Blick fiel, war eine Rose. Eine weiße Rose auf schwarzem Grund. Eine Rose, langsam sehe ich schärfer und sehe, daß die Rose auf eine Wange tätowiert war. Auf eine Wange eines weiblichen Gesichts. Aber etwas stimmte nicht. Das Gesicht bewegte sich nicht, sondern starrte nur geradeaus. Dann fiel mein Blick auf die Holztafel.

Ich habe einmal Tiertrophäen gesehen. Sie sahen genauso aus. Um genau zu sein, exakt genauso. Das Gesicht war nichts weiter als eine Trophäe. Eine unter vielen. Die ganze Wand war voll von Trophäen. Alles Mädchen. Jung und schön. Oder zumindestens was von ihnen übrig war. Sie hingen alle auf gleicher Höhe an der Wand. Alle gleich präpariert und alle mit dem gleichen toten Glasaugenblick geradeaus gerichtet.

„Er hebt die Köpfe auf. Den Rest ißt er.“

tl_files/crash/images/SinCity/SinCity_67.gifDie vertraute Stimme ließ mich herumfahren. „Lucille?“ sie kauerte nackt in einer Ecke des komplett gefliesten Raumes.

„Er ißt die Menschen. Es ist nicht nur der Wolf. Er ist es. Er ißt Menschen. Der Wolf frißt nur den Rest. Die Knochen. Er ißt die Menschen.“

Ich versuchte Sie zu beruhigen, „Du hast einen Schock.“, sagt ich zu ihr während ich meinen Mantel auszog und ihr umlegte.

„Er brät sie vorher. Wie Steaks. Und jetzt hat er uns beide.“

„Du mußt dich beruhigen Kleine, du hast einen Schock, hier, damit dir wieder warm wird.“

Vorsichtig legte ich Ihr den Mantel um.

„Es wird alles gut, Kleine. Es wird alles gut... Atme ruhig, ganz ruhig.“ Ich versuchte auf sie einzureden, damit sie sich beruhigte. Sie ist einfach völlig fertig. Sie war völlig alleine mit den Köpfen. Schon viel zu lange.

„Ich weiß nicht, ob er Dich auch essen will oder nicht. Er ißt die Mädchen soweit ich das beurteilen kann. Schau Dir nur die Wand an. Die Köpfe an der Wand. Die ganzen Köpfe. Ich mußte zusehen. Das Schwein. Er hat gelächelt, die ganze Zeit. Er hat nur gelächelt.“

Ich verstand nicht wovon sie redete. Es mußte der Schock sein. Sie sprach völlig wirr.

„Er lächelte nur und lächelte während er das Fleisch von meinen Fingern saugte. Ich mußte zusehen...“

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‚Oh Gott!‘. Als sie mir Ihre Hände zeigte --- oder besser, als sie mir Ihre Hand zeigte sach ich es: Das Schwein hatte ihr die Hand abgehackt. Und den Stumpf sauber verbunden. Und dann vor ihren Augen die Hand gegessen. Verdammt, ich werde ihn kriegen.

„Ich mußte zusehen! Ich mußte zusehen!“ Ihre Worte werden immer unverständlicher und verlieren sich in ihrem Schrei. Er wird immer lauter als Ihr alles Bewußt wird und der Schock von ihr abfällt, nur um um in einer noch viel schlimmeren Welle zurückzukommen. Wie das Wasser in den ausgetrockneten Wüstenflüssen, wenn die Regenzeit kommt. Am Anfang nur ein Rinnsal und dann plötzlich ein reißender Strom.

Und irgendwo da draußen war das Schwein und hörte sich alles an und lächelte sein immerwährendes lautloses Lächeln.

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