Zimtschnecken und Salmiak 4
Nach einer kurzen Nacht machte Jo sich auf die Suche nach einem Internetcafé. Dort bezahlte er für eine Stunde und machte sich einen neuen Emailaccount. Es gab zum Glück etliche Dienste, die es ermöglichten auf die Schnelle einen zu erstellen, ohne lästige Fragen. Dann schickte er eine email an Erwin – seinen alten Freund vom BND:
Will was loswerden. Melde Dich.
J.
Jo löschte dann den Browsercache und ging Frühstücken. Gegen Mittag suchte er sich ein anderes Internetcafé und loggte sich bei seinem neuen Emailaccount ein. Die Antwort von Erwin war da aber es war nur ein link auf ein Forum. In dem Forum registrierte sich Jo. Kaum hatte er das getan wurde er auf eine andere Seite weitergeleitet, auf der nur ein Chat-Fenster zu sehen war.
Da das Fenster leer war, tippe Jo auf gut Glück los.
E?
Die Antwort kam prompt:
?
Okay, also da war jemand auf der anderen Seite. Er wusste aber nicht ob es Erwin war. Also musste er mit so wenig Information wie möglich das herausbekommen – genau wie die andere Seite.
J
J?
Zirkus.
One-Way-Ticket!
Eine Weile wurden Stichworte ausgetauscht, bis Jo recht sicher war, das nur Erwin diese Andeutungen machen konnte. Da er auch bald weiter wollte, kam er zur Sache. Erwin war wenig begeistert davon, anscheinend saß er im Amt. Aber als Jo ihm Anfing von der CD zu erzählen war Erwin plötzlich interessiert. Zum Glück hatte Jo im Hotel ein paar Auszüge die ihm harmlos erschienen auf einen USB-Stick gezogen. Die kopierte er jetzt in das Chatfenster.
Dannach kam keinerlei Antwort. Als Jo nach einer Minute ohne Antwort sehr nervös wurde und gerade den Rechner abschalten wollte, kam nur eine kurze Nachricht.
Tivoli. 1900. Bühne.
Jo schloß das Browserfenster, löschte den Cache und fuhr den Rechner herunter. Jetzt musste er nur bis heute abend ausharren. Er beschloß das der Tivoli wahrscheinlich der beste und gleichzeitig schlechteste Ort zum warten war. Dort konnte er unter vielen Menschen den ganzen Tag verbringen ohne aufzufallen. Und wahrscheinlich würde niemand bemerken wenn er von dort plötzlich verschwand. Aber das Risiko musste er eingehen.
Jo suchte in der Innenstadt noch ein Kaufhaus. Dort betrat er die Computerabteilung und schaute sich die Laptops an. Ein kleiner Laptop der in einer Ecke stand war ideal. Er nahm eine Handvoll USB-Sticks die er aus einem Angebotswagen genommen hatte und kopierte auf jeden der Sticks die Dateien von der CD. Insgeheim freute er sich, das die Sticks mittlerweile so billig waren und groß genug die ganzen Daten zu speichern. Dann ging er zur Kasse und bezahlte die Sticks, und schlenderte durch die Innenstadt. An der Universität schloss er einen Stick in ein Schliessfach. Dann ging er weiter zur Kongens Metro Station und schloss dort einen weiteren Stick ein. Einen dritten verstaute er im Tycho Brahe Planetarium. Dann ging er in ein Internetcafé wo er noch nicht war, lud sich TrueCrypt herunter und verschlüsselte die restlichen beiden Sticks. Mit diesen bewaffnet ging er zum Kopenhagener Hauptbahnhof, verstaute die Schlüssel der Schliessfächer in einem Schliessfach, einen der beiden Sticks in einem anderen. In der Eingangshalle kaufte er sich dann ein paar Stückchen und ein belegtes Brötchen. In das Brötchen legte er den letzten Stick und den Schliessfachschlüssel für den anderen Stick steckte er in die Tüte mit den Stückchen. So bewaffnet schlenderte er in den Tivoli. Er hatte sich den ganzen Tag nicht beobachtet gefühlt und hatte auch keine Verfolger entdecken können. Aber das musste ja nichts heissen.
Im Tivoli schlenderte er erst einmal herum um sich mit dem Gelände vertraut zu machen. Als er den Vergügungspark das dritte mal auf und abgeschlendert war hatte er alles gesehen was er sehen wollte. In einem Gebüsch hatte er unauffällig die Tüte mit dem Brötchen entsorgt, wobei er darauf geachtet hatte sich neben einem kleinen Berg Abfall zu plazieren der so aussah als wäre er seit Monaten nicht bewegt worden. Es war kurz nach sechs, also beschloß er noch etwas zu essen bevor er an den Treffpunkt kam. Ein praktisches Restaurant lag nahe am Konzertplatz. Dort bestellte er sich eine Pizza und wartete. Bald darauf sehr er wie einige Leute die nicht so richtig in das Bild des Vergnügungsparks passen wollen vorbeikamen. Die Leute waren einfach zu druchtrainiert, so undänisch und ausserdem schauten sie sich so überhaupt nicht nach den Sehenswürdigkeiten um, sondern musterten nur die Passanten. Einmal sah er sogar wie eine Gruppe von vier dieser Personen sich kurz traf, etwas besprach und dann wieder auseinanderging als hätten sich nichts miteinandern zu tun. Jo fing sich an zu fragen ob der BND wirklich so unfähig war wie es aktuell ständig in der Zeitung zu lesen war. Anscheinend schon. Das Erwin ihm eine Falle stellen wollte war wenig überraschen – Erwin glaubte sicher nicht das es sich um Jo handeln würde, sondern würde ihn sicher in den USA wähnen. Sogar Jo kam zu der Überzeugung das der Urlaub in Kopenhangen eine seiner dümmsten Ideen war. Dann sah er auf einmal Erwin. Dieser stand mit einem leicht dämlichen Gesichtsausdruck mitten in dem Park und schien Selbstgespräche zu führen. ‚Wenn er noch auffälliger schaut merken es sogar die dämlichen Parkwächter.‘ dachte sich Jo.
Da es offensichtlich keinen Sinn machte mit offenen Karten zu spielen, beschloss Jo in die Offensive zu gehen. Dazu nahm seine Tüte mit den Stückchen und ging auf Erwin der ihm mittlerweile den Rücken zuwandte und Richtung Bühne schaute zu, wobei er intensiv in die Tüte starrte und darin herumkramte, sie dabei aber so hielt das man von seinem Gesicht nichts sah. Wie zufällig rempelte er Erwin dabei an und liess die Tüte fallen. Erwin reagierte blitzschnell und griff nach der Tüte bevor diese auch nur halb auf dem Boden war, gleichzeitig aber nach dem Handgelenk von Jo. Dieser grinste Erwin von unten an und meinte trocken:
„Darf ich Ihnen eine Zimtschnecke anbieten? Echt lecker.“
Der Blick den Erwin ihm zuwarf war das ganze Theater wert. Erst schaute Erwin überrascht, dann kurz erfreut bis er rot anlief vor Wut. In dem Moment als er anfing zu platzen und Jo zur Minna machen wollte, viel ihm aber zum Glück ein, dass das für ihn nicht so gut wäre und wurde kreidebleich. Jo für seinen Teil genoss die Show jedoch und meinte
„Nehmen Sie sich ruhig eine weil ich Sie umgerempelt habe. Ich will die Sowieso loswerden.“
Erwin verstand ihn erst nicht, dann jedoch griff er in die Tüte, wühlt ein bisschen darin herum. Plötzliches verstehen leuchtete über sein Gesicht als er eine Zimtschnecke aus der Tüte nahm und in diese Biss.
„Mange Tak“ kam von Erwin, dann drehte er sich um. Jo nahm die Tüte und ging Richtung ausgang, bemerkte dabei aber noch wie Erwin unauffällig etwas in seine Hosentasche steckte.
Jo schlenderte aus dem Tivoli heraus und genoß den Spaziergang zu seiner Unterkunft. Dabei vergaß er nicht nach Verfolgern Ausschau zu halten, ihm fielen dabei aber keine auf.
Mit einem guten Gefühl das richtige getan zu haben, aber trotzdem sich abgesichert zu haben kam er in sein Hotelzimmer. Er zog seine Jacke aus, wusch sich die Hände im Bad und wollte sich gerade an seinen Laptop setzen, als ihm auffiel das dieser nicht mehr da war. Er schaute sich im Zimmer um, aber nichts sonst war angerührt. Nur der Laptop war einfach weg.
Jo überlegte ob er diesen vielleicht weggeräumt hatte als es an der Tür klopfte und jemand „Zimmerservice“ rief.
Kaum hatte er die Tür geöffnet, schalt er sich einen Vollidioten als er direkt in die Mündung einer 9mm Automatik blickte.
Erwin drängte ihn schnell in sein Zimmer und steckte die Waffe weg.
„Sag mal bist du bescheuert? Willst du unbedingt drauf gehen? Wir haben gedacht es handelt sich um einen Terroristen der nur zufällig deinen Namen benutzt. Bei uns ist Alarmstufe rot und es gibt einige bei der Europol die lieber abdrücken als Fragen stellen!“
Erwin war sichtlich sauer auf Jo, andererseits war Jo nicht darüber erfreut in das falsche Ende einer Kanone geblickt zu haben.
„Jetzt mach mal halblang. Wieso Europol? Und wieso Terroristen?“
Erwin schaute ihn an als ob er gleich auf Jo losgehen würde. Dann holte er tief Luft und setzte sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer.
„Es hat sich einiges geändert seit du abgetaucht bist. Intern gab es bei uns einiges an Stühlerücken und ich bin vorerst der Europol für den Bereich internationaler Terrorismus zugeteilt worden. Es gab eine Menge Leute die sich mit Dir unterhalten wollten, aber Du warst unauffindbar. Seit einigen Wochen haben wir einige Nachrichten abgefangen, das eine große Aktion, ja sogar eine Riesenaktion geplant ist. Die soll wohl die gesamte westliche Welt erschüttern und in Nordeuropa stattfinden. Leider wissen wir nichts genaues, aber aktuell gehen bei allen Nachrichten aus der Gegend die Alarmglocken an. Wir waren recht sicher das deine Email von unserem Informant war. Der hatte sogar den gleichen Rechner wie Du benutzt und stand direkt mit mir im Kontakt. Mehr als ‚J‘ haben wir von seinem Namen nicht.
Aktuell läuft die Aktion unter ‚dumm gelaufen‘, aber das muss nicht so bleiben. Und jetzt erklär mir mal ganz genau was das soll und warum ich dich nicht meinen Kollegen zum Frühstück servieren soll.“
Jo hatte sich durchaus etwas mehr Wiedersehensfreude vorgestellt, konnte die Situation aber andererseits verstehen. Er war sich auch immer noch ziemlich sicher das er Erwin vertrauen konnte. Und wenn nicht, dann war es eh zu spät. Also erzählte im Jo alles. Er fing am Anfang an, der er eigentlich nur Urlaub machen wollte, wie er Harry traf und wie er aus versehen die CD bekommen hatte. Bis zum Ende als er in sein Zimmer kam und Laptop weg war.
Erwin schaute ihn nachdenklich an. Dann stand Erwin auf und ging zu der Schreibtischlampe, stocherte etwas herum und zog ein kleines Mikrofon mit einem Kabel heraus.
„Das sieht aus wie...“ setzte Jo an, aber Erwin war mit einem Schritt bei ihm und hielt ihm den Mund zu. Und in dem Moment zersplitterte das Fenster. Auf dem Boden lag eine Handgranate und rollte langsam auf die beiden zu. Jo reagierte als erster und sprang los, riß Erwin dabei mit sich, aus dem Zimmer heraus und den Flur entlang. Dann explodierte die Granate mit einem Höllenlärm, die Sprinkleranlage sprang an und die Feuersirene heulte los. Jo zerrte Erwin in dem Personalgang und drückte die Tür hinter sich zu.
„Scheisse, was war das?“ frage Jo Erwin.
„Was denkst du Depp eigentlich? Deinen Laptop klauen sie und sonst machen sie nix? Weisst du eigentlich in was für eine Scheisse du da reingeraten bist?“
Langsam dämmerte Jo das es wohl nicht einfach damit getan was mit Erwin zu reden und dann wieder heimzufliegen. Das war seinem Gesichtsausdruck auch anzumerken. Erwin griff in seine Jackentasche, nahm sein Mobiltelefon heraus und sagte nur „Code Blau“. Dann nahm er Jo am Arm und sie gingen die Treppe hinunter und durch die menschenleere Waschküche nach draussen. Offensichtlich hatten nach der Explosion alle Angestellten fluchtartig das Gebäude verlassen. Erwin ging mit Jo eine Straße weiter, dann bog dort ein Bus um die Ecke und Erwin schob Jo in den Bus. In dem Bus setzen sie sich auf eine Bank. Jo versuchte sich zu entspannen und starrte aus dem Fenster. Aber irgendwie konnte er kaum etwas erkennen, weil die Umgebung total verzerrt aussah. Er schaute nach vorne um herauszufinden wohin der Bus ging, aber die Anzeigetafel war dunkel.
„Welche Nummer ist das denn?“ frage Jo Erwin. Dieser schaute Jo an und schüttelte den Kopf.
„Du bist auch nicht mehr der Alte.“
„Wieso, wir sind in einen Bus gestiegen. Der fährt ja irgendwo hin, und ich will halt wissen wo wir dann rauskommen. Wenn die Mitbekommen haben das wir in den Bus gestiegen sind, wissen die anderen auch wo wir hinwollen.“
„An wievielen Stationen hat der Bus in den letzten Minuten gehalten, Jo?“
„Keine Ahnung. An keiner glaube ich, aber das heißt ja gar nichts.“
„Jo, das ist kein Linienbus. Das ist unser Fluchtfahrzeug.“
Jo schaute Erwin vollkommen verdattert und verständnislos an.
„Ein Linienbus als Fluchtfahrzeug? Aber, äh, was?“
Erwin schüttelte nur den Kopf und schaute aus dem Fenster. Jo erkannte zwar nicht viel draussen, ausser das der Bus nun in ein Depot einfuhr und in eine Garage fuhr und der Motor ausgeschaltet wurde. Draussen wurde es komplett dunkel und auch die Lichter im Bus gingen aus. Dann ruckte es und es fühlte sich an als ob sich der Bus bewege, aber nach unten.
Nach einer kurzen Zeit ging das Licht wieder an und die Tür vom Bus ging auf. Erwin stand wortlos auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich um und sagte zu Jo: „Willst du hier übernachten oder kommst Du?“
Jo stieg aus dem Bus und schaute sich um. Eigentlich hatte er jetzt in James-Bond-Manier ein high-tech Labor erwartet, und Q um die Ecke laufen. Aber es war tatsächlich einfach eine Tiefgarage voll mit Bussen und einigen Autos. Hinter ihm fuhr der Bus los und parkte auf einem entfernten Parkplatz. Erwin stand an einem Auto auf den PKW-Parkplatz und winkte Jo bei. Erwins grinsen wurde immer breiter als er meinte
„Willkommen in unserer geheimen Schaltzentrale der Welt. Von hier aus werden alle Roboter-Politker ferngesteuert und die Sonne an den Himmel projeziert.“
„Sehr witzig.“
„Was hast du Erwartet? Ein high-tech Labor und Q der um die Ecke kommt?“.
„Natürlich nicht, aber halt nicht nur einfach einen Parkplatz.“
„Jo, das ist ersten eine Tiefgarage für die Busse, die müssen ja schliesslich irgendwo parken nachts und zum anderen wäre es doch extrem dämlich an einem Ort an dem täglich hunderte Busse kommen und gehen ein High-Tech-Labor einzurichten.“
„Wieso, da bemerkt euch doch keiner!“
„Ja, aber es bemerkt auch keiner die zwei Busse voll bewaffneter Angreifer die direkt durch den Haupteingang fahren. Es ist völlig unmöglich so einen Ort zu sichern.“
Jo kam sich unglaublich dumm vor. Es war kaum zu glauben wie stark sich seine Vorstellung die er aus Agentenfilmen gewonnen von der Realität unterschied. Andererseits war das auch wieder normal, und vielleicht wollte er einfach das es anders war.
„Und was machen wir jetzt?“ fragte Jo.
„Die waren hinter den Daten her. Das ist soweit klar. Und wollten dann die Spuren verwischen. Gab es davon noch eine Kopie? Wir müssen wissen was da drauf ist.“
Jo schaute Erwin an.
„Die habe ich dir doch heute übergeben. Im Tivoli. In der Tüte?“
„Hä? Da waren Zimtschnecken drin. Die finde ich eklig. Ich hätte beinnahe reingekotzt. Ich habe die direkt dannach weggeworfen. Ich bin dir hinterher weil ich dachte du wolltest dich alleine treffen.“
Jo bekam ein furchtbar flaues Gefühl im Magen.
„Weggeworfen? Scheisse da war ein Schlüssel für ein Schliessfach am Bahnhof drinnen mit den Daten drauf.“
„Bitte? Du steckst den Schlüssel einfach in so eine Tüte?“
„Na ich dachte so in den Agentenfilmen...“
„Jo Du bist ein Vollidiot. Woher soll ich das wissen? Sowas wird vorher vereinbart, damit genau das nicht passiert. Jetzt ist alles Verloren. Wir haben nichts in der Hand und ich kann Dir so nicht helfen.“
Jo dachte angestrengt nach. Erwin war sein einziger Freund hier, und der einzige der ihm helfen konnte. Sollte er ihm völlig vertrauen? Hatte er irgendeine Wahl?
„Erwin?“
„Ich denke nach. Halt einfach mal die Klappe...“
Erwin wanderte rastlos hin und her. Sein Blick wurde immer finsterer. Er schüttelte den Kopf. Blieb kurz stehen. Schüttelte wieder den Kopf und murmelte etwas unverständliches. Dann fing er wieder an hin und herzutiegern.
„Erwin?“
„Jetzt nicht.“
„Erwin! Ich habe noch eine Kopie!“
Erwin blieb ruckartig stehen.
„Wo genau?“
„In einer Brötchentüte. Die habe ich im Tivoli in ein Gebüsch neben einen Berg Abfall gelegt.“
„Neben einen Berg Abfall? Eine Tüte mit einem Brötchen drin?“
„Tolle Tarnung nicht? Ich dachte so hält das jeder für Müll und ihr könnt sie in Ruhe holen wenn das mit dem Schlüssel nicht klappt.“
„Jo, jeden Tag wird im Tivoli der Müll entsorgt. Und ich meine nicht nur die drei Mülleimer, ich meine alles. Weisst Du wieviel Müllberge jeden Tag in so einem Part enstehen? Die waren schon dabei anzufangen die Gebüsche auszuräumen als wir noch nicht abgezogen waren.“
„Na dann gehen wir halt auf die Müllhalde, soviel kann es ja nicht sein.“, antwortete Jo trotzig.
„Es gibt hier keine Müllhalde, das Zeug wird alles Verbrannt. Am gleichen Tag.“
Jo wurde bleich. Er hatte sich das so einfach vorgestellt. Aber dazu hätte er wohl vorher die toten Briefkästen sich genauer anschauen müssen. Einfach irgendeinen Ort zu nehem, von dem man denkt das der richtig ist, funktioniert halt nicht einfach so.
Wer konnte denn auch Ahnen das Erwin Zimtschnecken hasst und dann gleich die Tüte wegwirft. In Agentenfilmen läuft das nie so…
„Erwin, warum musstest du die Tüte mit den Zimtschnecken denn gleich wegwerfen? Das war doch auch irgendwie blöd von Dir.“
Erwin starrte ihn an. Erst wurde er kreidebleich. Dann lief er krebsrot an.
„Du blödes Arschloch! Wozu steckst du den Schlüssel in eine beknackte Süsskramtütetüte? Und schmeisst eine andere Kopie gleich in dem Müll? Bist du völlig verblöded?“
„Na ich dachte so ist die Übergabe unauffälliger...“ antwortete Jo kleinlaut. Er kam sich so völlig dumm vor. Aber damals erschien ihm das als gute Idee.
Erwin schüttelte wieder mit dem Kopf. Dann kam er langsam auf Jo zu. Dieser schaute betreten zu Boden. Er liess die Schultern hängen und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Erwin stand jetzt direkt neben ihm. So nah, das Jo nicht wusste ob Erwin ihn nun umarmen wollte zum trösten oder ihm eine reinhauen. Da berührten Jos Finger etwas. Er zog die Hand aus der Tasche und starrte den Schliessfachschlüssel an.
„Erwin, warte mal, ich glaube...“
Er dreht sich ruckartig zu Erwin um der zurückzuckte bei der plötzlichen Bewegung. Erwins Blick war kalt wie Eis, er musste wohl stinksauer sein. Zu recht…
„Erwin ich habe noch Kopien gemacht, drei Stück. dass hatte ich vergessen. Die Schlüssel zu den Schliessfächern habe ich in dieses Schliessfach gesteckt. Die holen wir uns und holen uns die Sticks.“
Jo strahlte Erwin an, so als wollte er gelobt werden. Schliesslich hatte Jo gerade den Tag gerettet.
„Du hast drei weitere Sticks kopiert und alle Schliessfachschlüssel in dasselbe Schliessfach gesteckt?“
„Ja, ich dachte für den Fall das ich da nochmal ran muss wäre es besser so.“
„Du bist wirklich ein Vollidiot. Hast du vielleicht noch ein paar Dutzend Kopien verteilt? Vielleicht schon der Presse zugespielt?“
„Erwin, natürlich nicht. Ich gebe zu das ich mit dem Gedanken spiele. Da ist eine Menge Zeugs drauf. Das würde einschlagen wie eine Bombe. Aber das hat ja Zeit.“
„Jo, wieviel von dem Zeugs hast du gelesen?“ fragte ihn Erwin nachdem er den Schlüssel an sich genommen hatte.
„Ich bin drübergegangen. Das ist spannend. Da ist Kompromat für so viele Leute drauf, da brauch man Wochen um sich durchzuquälen.“
„Bist du sicher das Du nicht noch weitere Kopien gemacht hast? Wie kommst Du an die Daten denn überhaupt ran wenn die verschlüsselt sind?“
„Das ist ganz einfach. Diese drei sind unverschlüsselt. Die hätte ich direkt verschicken können. Die die ich dir geben wollte waren verschlüsselt, ich wollte nur eine Versicherung haben falls irgendwas schiefläuft das ich wegkomme. Das Passwort hätte ich dir Gegeben. War nicht so schwer. Es lautet 'Zimtschnecken und Salmiak'.“.
Erwin starrte ihn an. Dann fing er langsam an zu grinsen. Das Grinsen wurde immer breiter und er brach in schallendes Lachen aus. Jo musste einfach mit einfallen.
„Jo Du bist der blödested Typ den ich kenne der je ein Agentenspiel gespielt hat. Dich sollte man sofort abmurksen, bevor du Schaden anrichtest.“
Jo brach noch mehr in Lachen aus. Erwin trat mit einer schnellen Bewegung an ihn heran. Jo spürte etwas kaltes an seinem Bauch. Er musste ihn sich halten weil ihm der vom Lachen schon wehtat. Als seine Hand sich feucht anfühlte starrte er sie an und stellte fest das sie rot war. Rot und feucht.
„Erwin, was...“
Jo schaute an sich herunter. Da war Blut. Viel Blut an seinem Hemd. Erwin hielt etwas in der Hand. Es war ein Springmesser. Auch das war rot. Das musste Jos Blut sein. Aber Erwin?
Erwin trat einen Schritt zurück, packte das Messer in eine Taschentuch mit dem er seine Hand abwischte. Dann nahm er sein Handy aus der Tasche, drückte ein paar Tasten.
„Zimtschnecken und Salmiak“. Er wartete auf die Antwort der anderen Seite. Dann legte er auf.
„Das Passwort stimmt.“
„Erwin, was, warum...“
„Jo, du versucht hier mitzuspielen bei etwas was viel größer ist als Du. Ich habe versucht dich zu warnen. Aber Du wolltest unbedingt wieder den Helden spielen. Die Regeln haben sich geändert. In der Organisation geht es darum die Organisation zu erhalten. Die Daten darauf sind unsere Versicherung.“
„Bist du jetzt bei der Mafia?“
Erwin brach wieder in schallendes Gelächter aus.
„Mafia? Bei diesem Kindergeburtstag? Jo wir kontrollieren Staaten. Die halbe Welt. Wir sind die Geheimdienste. Es hat Jahre gedauert bis wir die technischen Möglichkeiten von heute hatten. Jetzt wissen wir alles. Wir kommen überall hin. Und niemand kann uns was nachweisen! Dieser Politiker will uns einschränken. Tja, nicht wenn er nicht will das wir jede Menge Schmutzwäsche über ihn veröffentlichen. Geldkürzungen? Ups, wie kommen denn die Kinderpornos auf den Rechner. Peinlich. Menschenrechte? Am Arsch, wir wissen nicht nur wo Du wohnst, wir wissen wer deine Freundin ist und schneiden Ihr die Nippel ab wenn Du nicht parierst. Niemand, wirklich niemand kann uns etwas mehr.“
„Aber ihr seid doch die guten...“
„Natürlich sind wir das. Wer glaubst Du ist denn für die Sicherheit da. Wir machen alles sicher, keiner ist mehr in Gefahr. Und wenn ihr glaubt ihr braucht uns nicht, tja, dann wird halt ein Terroranschlag fabriziert. Oder einer der einer werden könntet. Die passenden Daten finden wir schon auf dem Laptop. Wer will uns schon nachweisen das die vorher nicht da waren? Terroristen lügen. Und wenn man die ordentlich bearbeitet, oder die Frau, Kinder, Verwandten, dann geben die alles zu. Scheiss auf die Politik. Dir brauchen wir nur um von uns abzulenken.“
Jo sank auf die Knie. Ihm war kalt, er atmete schwach und es wurde ihm schwarz vor augen.
„Aber wir sind doch Freunde.“
„Freunde? Du blöder Wixer wolltest alles Kaputtmachen. Das ganze Theater nur um aus die rauszubekommen ob Du noch kopien hast. Vor allem unverschlüsselte. Wir haben natürlich beide Sticks aus dem Tivoli, die waren aber beide verschlüsselt. Hättest Du nichts gesagt, hätte ich Dich foltern müssen. Jetzt habe ich was ich will. Und Du bist morgen nur ein weiterer Junkie der im Streit von einem Obdachlosen abgemurkst wurde. Was Drogen aus einem machen können. Du bist ja nicht mal richtig registiert. Ein weiterer Unbekannter.“
Jo fühle wie er bewusstlos wurde. Mit einer letzten Anstrengung schaute er zu Erwin hoch. Doch der lächelte nur leise, sagte noch, „Keine Angst, ich habe dir eine Schlagader durchtrennt, das geht schnell. In drei Minuten bist Du tot.“, drehte sich um und ging Richtung Ausgang.
Die Dunkelheit umarmte Jo zärtlich, nahm ihm alle Hoffnung und endlich gab Jo auf und liess sich in das Nichts fallen.
Die Welt am Sonntag
Das neue Geheimdienstgesetz wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen. Nach dem neuerlich vereitelten Anschlag die von Europol mit einer Aktion die sich über 7 Länder erstreckte verhindert werden konnte, und die wie auf den Computern der Beteiligten abgelegte Informationen zeigen, verheerende Wirkung mit wahrscheinlich hunderten von Toten gehabt hätten, wurden die Geheimdienste der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union der Europol untergeordnet. Diese ist nun für die Aufgaben, Leitung und Führung der Geheimdienste gesamtverantwortlich. Rein formal untersteht die Europol dabei den Innenministerien der Länder, ist tatsächlich aber als Staatenfreie Organisation eigenverantwortlich. In letzter Sekunde wurde vor der Abstimmung eine Passage die einen ständigen Überwachungsausschus festgeschrieben hätte gestrichen, da die beteiligten Politiker der Liberalen, den Linken und den Trotzkisten ihr Einwände überraschen zurückzogen und die Streichung befürworteten. Ein Umdenken wurde gerüchten zu Folge in einem vetraulichen Gespräch mit Experten von Europol erzielt, die auf die Dringlichkeit des neuen Gesetzes hinwiesen. Die Regelung tritt umgehend in Kraft, eine Ratifizierung wird für diese Neuordnung nicht benötigt.