Sie fuhren schweigend aus dem Parkhaus. Es schien, als würde ihnen niemand folgen. Da Nahmed immer noch kein Wort über das warum und wieso über die lippen brachte, brach Ulrike das Schweigen.
"Was ist hier eigentlich los?"
"Das weiss ich nicht."
Diese Antwort verblüffte Ulrike nun doch dermassen, das Sie Nahmed mit offenem Mund anstarrte.
"Wie bitte?"
"Also, ich meine, ich weiss nicht genau was los ist."
"Aha."
Nahmed seufzte tief und setzte mehrfach an, bevor er anfing zu erzählen.
"Ich habe vor ein paar Tagen eine Nachricht von einem Bekannten erhalten. Leider kann ich mit ihm nicht direkt sprechen, da es sich um eine gewisse alte Verbindung handelt. Wir haben und damals kennengelernt und gut verstanden. Er ist allerdings immer noch überzeugt, das sein Weg der richtige ist. Unsere Freundschaft hat das jedoch überdauert. Es ist gewissermassen ein Theoretiker, der sich nicht mit den praktischen Auswirkungen beschäftigt. Letztendlich kommunizieren wir auf mehr oder weniger verschlungenen Wegen miteinander.
Letztendlich bin ich illegal in Deutschland. Ich habe trotz meiner Tätigkeit keinen deutschen Pass bekommen. Am Anfang wollte man kein Aufhebens machen, zum Schluss war ich nicht mehr interessant genug. Also bin ich einfach nur ein vergessener illegaler Immigrant.
Was blieb mir anderes übrig, das meine alten Verbindungen aufleben zu lassen? So war ich wenigstens in der Lage einen deutschen Pass zu bekommen.
Mittlerweile ist das Problem aber, das in der Organisation zunehmend die Hardliner an die Macht kommen. Und die wollen solche Typen wie mich loswerden.
Da man mittlerweile mehr über die Art der Arbeit der Polizei kennt, das die Polizei glaubt, werden zunehmend V-Leute "generiert". Das heisst, jemand bekommt den Auftrag den Aussteiger zu spielen. Dieser jemand lanciert dann informationen an die Polizei.
Und eine dieser Informationen ist wohl aktuell meine Adresse gewesen, sogar anscheinend der Name auf meinem deutschen Pass.
Ich befürchte, das ich bereits gesucht werde. Es gibt da eine Reihe von offenen Fragen die nicht nur der Verfassungsschutz an mich stellen möchte... Ich bin, müssen Sie wissen, etwas überstürzt untergetaucht.
Ulrike fing der Kopf an zu schwirren. Die Geständnisse von Nahmed rissen gar nicht mehr ab. Sie fing an sich zu fragen, ob es eine gute Idee gewesen war, ihm einfach zu folgen. Schliesslich hatte sie ja – so langweilig es auch gewesen war – eine gesicherte Existenz. All das wurde langsam in Frage gestellt. Und nach wie vor konnte sie sich nicht erklären, warum sie sich darauf eingelassen hatte.
"Wie konnten Sie denn mit ihm in Kontakt treten, wenn Sie nicht wollen, das man eine Verbindung aufbaut?"
"Ganz einfach. Das Internet macht so etwas möglich. Es gibt bestimmte Foren, Newsgruppen und Blogs, in denen gewisse Texte gepostet werden. Dabei handelt es sich um verschlüsselte Botschaften. Das kann entweder einfach Unfug sein, oft wird das aber als 'Spam' getarnt. Es sieht also aus wie eine von vielen Viagra Werbungen, enthält aber in wirklich eine Nachricht. So halten nicht nur Untergrundorganisationen sondern auch Dissidentengruppen, Geheimdienste und eigentlich jeder, der völlig unerkannt kommunizieren möchte Kontakt. Wichtig ist, das die Botschaft natürlich über einen öffentlich zugänglichen Server eingepflegt wird."
"Und Sie haben dann eine solche Botschaft erhalten?"
"Genau. In der wurde ich gewarnt, das meine Identiät nicht mehr sicher ist."
"Woher wissen Sie denn, von wem die Nachricht stammt?"
"Nun, es gibt gewisse Codewörter, die Art wie jemand schreibt und andere Hinweise von wem die Botschaft stammt. Ich muss gestehen, da ich schon lange keinen persönlichen Kontakt mit meinem alten Freund hatte, haben wir niemals neue Codes ausgemacht. Im Prinzip könnte die Botschaft eine Fälschung sein."
"Und was macht Sie dann so sicher, das es keine ist?"
"Nun, ich denke, wenn meine Identität sicher gewesen wäre, wäre die Sache am Flughafen nicht passiert."
"Was passier jetzt?"
"Erst mal schlage ich vor, das wir bei einem anderen Freund untertauchen und dort besprechen was wir weiter tun. Wenn Sie das möchten sorge ich dafür das Sie so schnell wie möglich wieder heimkommen."
"Ich werde also jetzt entführt? Eine Geisel?"
"Ganz so würde ich das nicht formulieren. Aber ja, im Prinzip schon."
"Und wenn ich einfach bei der nächsten Gelegenheit losschreie und Sie der Polizei ausliefere?"
"Dann kann ich rein gar nichts dagegen machen. Möchten Sie das denn tun?"
Schweigen sah Sie ihn an.
"Wenn Sie wollen, fahre ich sofort zur Polizei und lasse mich festnehmen."
Sie schaute ihn immer weiter an und versuchte in seinen Augen zu lesen. Aber sie konnte weder Falschheit noch Lüge noch den Hauch von einer Gewaltandrohung sehen.
"Fahren wir zu Ihrem Freund."

"Na Thomas, wie läufts?"
"Ach ganz okay, Peter. Ich hatte hier nur gerade ein komisches Paar. Sie hatten beide Flugtickets und ich hatte ihre Boardingpässe ausgestellt, und dann ist dieser Schweisspassleser wieder ausgefallen. Also habe ich den Support zum 25x mal heute angerufen. Plötzlich kriegt der Typ Schweissausbrüche und verschwindet Richtung Parkhaus als ob er den Tod gesehen hat."
"Das war bestimmt einer mit Flugangst. Da würde ich mir keine Gedanken machen. Solche haben wir zehnmal am Tag. Die sollten besser mit dem Zug fahren als sich das Theater zu geben."
"Wenn Du meinst. Aber seltsam war's schon."
"Vergiss es einfach. Wir sehen uns nachher im Airporcafé?"
"Klar. Bis dann!"

Der Geruch starken Kaffees weckte Sie. Sie zog sich schnell an und öffnete die Tür des Schlafzimmers in dem Sie übernachtet hatte. Der Geruch schien genau wie die leisen Stimmen aus der Küche zu kommen. Sie versuchte zu verstehe, was gesprochen wurde. Aber offensichtlich wurde kein Deutsch gesprochen. Die Sprache klang merkwürdig melodisch.
In der Küche saß Nahmed zusammen mit Fenglin. Fenglin was ein Chinese der zum Studieren in Deutschland war. Da sein Visum nur für die Studienzeit ausgestellt war, studierte Fenglin jetzt seit 12 Jahren Informatik. Die vielen Computerteile und Elektronik wie im Schlafzimmer standen zeigten das es ihm wohl immer noch Spaß machte.
Als die beiden Sie in der Tür stehen saßen verstummten sie und schauten Sie an.
„Kaffee ist in der Maschine, Tassen im Schrank darüber.“ teilte Fenglin ihr mit.
Sie nahm sich in dem Schweigen das sich in der Küche ausbreitete eine Tasse und füllte sich einen Kaffee ein. Nach dem ersten Schluck gab sie eine größere Menge Milch und vier Löffel dazu. Dadurch schmeckte er zwar immer noch nicht besser, aber sie bekam ihn ohne einen Würgereflex runter.
Da es nur zwei Stühle gab, blieb sie an der Küchenzeile angelehnt stehen. Sowohl Nahmed als auch Fenglin starrten in ihre halbvollen Tassen. Dann schaute Nahmed plötzlich auf und sagte
„Dein Kaffee ist immer noch so beschissen wie früher.“
„Ja und das obwohl ich ihn mittlerweile nur noch zweimal aufbrühe....“
In den wenigen Sekunden in der Sie von Nahmed zu Fengling und zurück starrte passierte gar nichts, bis sie alle drei in schallendes Gelächter ausbrachen. Das Eis war gebrochen.
Als sie sich beruhigt hatten fragte Fenglin in die Runde
„Und was willst du jetzt machen?“
Nahmed zuckte mit den Schultern.
„Ich weiss noch nicht.“
„Dir ist schon klar das Sie dich unter Umständen suchen?“
„Ja.“
„Und irgendwann kommen sie zu mir.“
„Ich weiss.“
„Wenn sie dich hier erwischen verliere ich mein Visum“.
„Ich weiss.“
„Und ich muss wieder zurück.“
„Ja, ist ja gut, wir hauen ja bald wieder ab.“ Nahmed funkelte ihn zornig an.
„Wollte ich ja nur mal gesagt habe...“ Fenglin hatte die Hände beschwichtigend erhoben.
Das Schweigen in der kleinen Küche wurde immer bedrückender. Nach einer langen Zeit sagte Nahmed nur „Ich werde mit Oskar reden.“
Daraufhin verschluckte sich Fenglin an dem Schluck Kaffee den er gerade trinken wollte.
„Oskar?“
„Warum nicht?“
„Weil Du verrückt bist!“
„Na und? Als ob das was ändern würde.“
„Halt mich aber da raus.“
„Klar. Sonst nimmt er mich eh nicht ernst.“
„Kann mir mal einer erklären worum es hier geht?“ platze es aus Ulrike heraus.
Die beiden starrten Sie an als ob sie sie zum ersten mal sähen.
„Oh ja, richtig.“ meine Fenglin und schien plötzlich sehr an dem Inhalt seiner Tasse interessiert. Nahmed lief rot and und stammelte nur unverständlich vor sich hin.
„Was ist jetzt hier los?“
„Du solltest besser nach Hause gehen.“ sprach Fenglin zu seiner Tasse.
„Nach Hause?“
„Ja, du wohnst doch sicher irgendwo schön im Grünen, brauchst dir keine Sorgen zu machen und da gehst du jetzt wieder hin.“
Ulrike starrte ihn an um dann den Blick aus dem völlig verdreckten Fenster zu werfen.
„Ich habe keine zu Hause mehr.“
Aus dem Augenwinkel sah sie den fragenden Blick den Fenglin Nahmed zuwarf und die Überraschung mit der Nahmed sie ansah. Nach paar Sekunden die ewig zu währen schienen, fand Nahmed als erster seine Sprache wieder.
„Oskar also.“
Fenglin zuckte nur mit den Achseln. „Ich muss jetzt an die Uni.“

Zwei Stunden später standen Sie vor einem Hochhaus im Gallus. Es war eine dieser typischen Wohnanlagen die als Sozialwohnungen geplant waren und jetzt kaum als solches zu vermieten waren. 13 Stockwerke und der Lift war defekt. Er sah auch nicht so aus, als ob er schon mal funktioniert hätte in den letzten Jahren. Sie stiegen die Treppen hinauf. Alleine die Stärke und Vielzahl der Gerüche im Treppenhaus haute sie beinnahe um. Es gab Essen, Knoblauch, Urin, Katzen, Parfum, Tee und alles hatte den Geruch von vielen Menschen auf engem Raum. Im 10. Stock kamen sie aus dem Treppenhaus und nachdem sie gedacht hatte, das sich die Gerüche im Treppenhaus sammelten, wurde sie eines besseren belehrt. Direkt hinter der Tür zum Treppenhaus lauerte der Mief von alter Wäsche und alter Verwesung genauso wie nach Knoblauch und gebratenen Chilis. Nahmed schien davon unbeeindruckt und ging zielstrebig auf eine Tür zu an der er ein kurzes Klopfzeichen morste.
Die Tür ging einen Spalt auf und es wurden ein paar Worte gewechselt, die leider so leise waren, das Ulrike nichts davon verstand. Dann wurde die Tür wieder geschlossen.
„Wir müssen warten.“

Nach einer halben Stunde ging die Tür wieder auf und Nahmed verschwand hinter ihr. Ulrike blieb im Gang zurück und wartete. Nach zwanzig Minuten kam Nahmed zurück und sie gingen schweigen. Als sie in Richtung Stadtmitte unterwegs waren, brach Ulrike das Schweigen und fragte Nahmed
„Und wohin jetzt?“
„Wir müssen noch schnell in der Stadt vorbei. Etwas abholen.“
Langsam kehrte in Ulrike der Realitätssinn zurück und sie fragte sich, wann man sie wohl einweihen wird. Das Gefühl zu fallen wurde immer mehr ein Gefühl der Gefahr als ein Gefühl der Freiheit.
„Wann willst du mir eigentlich sagen was das wird?“
„Ich kann dir gar nichts sagen. Fenglin hat dir vorhin schon gesagt, du sollst nach Hause gehen. Das wolltest du nicht.“
„Was willst du das ich tue?“
Der Blick den er ihr zuwarf konnte sie nicht deuten. Aber sie war wieder da wo sie wegwollte. Das ihr jemand sagte was sie tun soll. Bloss keinen eigenen willen entwickeln.
„Ich weiss nicht was du tust oder was du tun sollst. Aber ich werde dem hier ein Ende setzen.“
„Dem hier was? Wovon sprichst du?“
„Ich bin hier ein niemand, ein nichts, den niemand ernst nimmt. Eigentlich wollte ich immer nur in Ruhe gelassen werden. Aber das soll wohl nicht sein.“
„Und wie passe ich da rein?“
„Das weiss ich nicht. Noch nicht.“
Na super. Dann sind wir ja schon zu zweit.
„Wohin fahren wir jetzt genau?“
„Wir fahren zu einem Freund eines Freundes und holen einen Pass. Und ein Ticket.“
„Ein Ticket?“
„Ja, eines. Du kannst das Auto haben. Geht zurück in dein Leben. Das ist wohl eh besser.“

Die nächsten Minuten bis sie vor einem heruntergekommenen Haus im Nordenend. Entgegen ihrem Bauchgefühl stieg Ulrike mit aus und folgte Nahmed in das Haus. Im Gegensatz zu der Hochhaus im Gallus war es hier absolut still. Die Tür im zweiten Stock war nur angeleht und sie gingen rein.
„Hallo?“ rief Nahmed. „Ist da jemand?“
Sie erhielten keine Antwort. Als sie das Wohnzimmer betraten sass jemand im Sessel, den sie nur von hinten sehen konnten.
Nahmed sagte etwas auf arabisch und trat um den Sessel herum, nur im plötzlich zu erstarren.
„Was ist los?“
Er antwortete ihr nicht. Stattdessen bückte er sich und hatte auf einmal eine Pistole in der Hand. Die andere Hand war blutig. Mit ein paar schnellen Schritten war Ulrike um den Sessel herum und es wurde ihr schlecht. Der Mensch auf dem Sessel hatte sich erschossen. Das Blut an Nahmeds Hand war nicht sein eigenes.
Eine befehlende Stimme von hinten liess beide zusammenfahren, als diese
„Stehenbleiben, Pack!“ schrie.
Aus Reflex drehten sie sich um und sie erblickten einen Mann mit einer Lederjacke, Natohose und einer Waffe in der Hand. Die Waffe deutete auf die Beiden, so das nicht ganz klar war wer im Visier war, ohne den anderen in Sicherheit zu wiegen.
„Was macht ihr hier?“
Sowohl Ulrike als auch Nahmed waren zu verdutzt darauf zu antworten.
„Ich habe euch was gefragt.“
„Nichts“ brach es aus Ulrike heraus.
Der Typ schaute sie genervt an und sagte „Na, du hast Nerven.“, schüttelte den Kopf und war mit einem schnellen Schritt bei Ulrike und verpasste ihr mit der freien Hand eine schallende Ohrfeige.
Sie war so überrascht davon, das sie Rückwärts über den Sessel stolperte und auf dem Boden liegenblieb und sich die Backe hielt. Der Unbekannte sschaute sie von oben herab böse an. Als er wieder ausholte erwachte Nahmed aus der Starre und sprang ihn an nd griff nach der Hand in der er die Waffe hielt. Sie rangelten und kämpften, wie zwei Hunde um einen Knochen. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen löste sich ein Schuss. Vor Schreck machte Nahmed einen Schritt nach hinten, liess aber nicht den Arm los, so das er den Angreifer mitzog, der stolperte über den Teppich, stürzte, zog Nahmed mit sich und dabei löste sich erneut ein Schuss. Nahmed und der Unbekannte lagen auf dem Boden und bewegten sich beide nicht. Nach einem Moment schob Nahmed den Mann von sich. Eine kurze Inspektion ergab, das während des Kampfes, wahrscheinlich als sich der zweite Schuss gelöst hatte, die Waffe genau in Richtung des Angreifers stand und er den Schuss ins Herz bekommen hat. Jetzt war er tot.
„Ulrike?“
Keine Reaktion.
„Ulrike?“
„Ja.“
„Alles klar?“
Wieder keine Antwort. Nahmed rappelte sich auf und ging zu Ulrike die auf dem Boden sass, eine Hand an der Wange, eine auf dem Bauch.
„Was ist los?“
Sie blicke ihn an und hob die Hand auf dem Bauch. Sie war voller Blut. Sie musste den ersten Schuss in den Bauch bekommen haben. Noch währen Nahmed versuchte zu verstehen was er sah brach sie zusammen.
Nahmed schüttelte sie und schrie ihren Namen, aber es hatte keinen Sinn. Ulrike war tot. Sinnlos gestorben, ohne Heimat, auf der Flucht vor der Einsamkeit zurück in ein Leben ohne Sinn, getroffen von einer Kugeln ohne Ziel.

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