Gegen Mittag fuhr sie nach Hause. Im Kühlschrank fand sie wie üblich ein angebrochenes Glas Gurken und ranzige Butter. Die einzigen Dinge die ihre Tochter nicht mitnahm wenn sie vorbeikam. Da der Kühlschrank heute morgen voll war, musste sie dagewesen sein. Ein Zettel mit "Danke Mama" wäre auch zuviel gewesen... Mit den Gurken und mit dem Rest der Butter unter der ranzigen Schicht bereitete sie sich ein Mittagssen zu. Sonderlich gesund war das ja nicht. Aber das spielt ja wohl keine große Rolle. Ihr Leben war ihr mittlerweile egal. Es gab nichts mehr worauf sie hinarbeiten konnte, keine Ziele keine Ideale. Alfred hatte alles mitgenommen. Da war er wieder, der Zweifel, wie ein Schatten der den Himmel verdunkelt. Sie starrte gedankenverloren aus dem Fenster. In der einen Hand das Brot, in der anderen das Messer. Es war ein großes Küchenmesser. Recht scharf. Vielleicht sollte ich allem ein Ende setzen? Waren das ihre Gedanken? Sie hatte noch nie über Selbstmord nachgedacht. Nicht laut und nie für sich. Mit den Selbstmordgedanken ihrer Patienten konfrontiert zu werden, hatte ihr immer Unbehagen bereite. Weil sie es einfach nicht nachvollziehen konnte. Obwohl sie ihr Leben weder für schön noch für erstrebenswert hielt, so war ihr der Gedanke dem ein Ende zu setzen nie gekommen. Aber jetzt, so ganz alleine in dem leeren Haus. Wer würde mir schon eine Träne nachweinen? Sie ließ den Blick in der Küche umherschweifen, nur um festzustellen, das sie nicht einmal große Spuren in dem Zimmer hinterlassen hat. Es gab kaum etwas, das ihr, ihr persönlich gehörte und zeigte das sie da war. Ihr Revier markiert, sozusagen. Sie sah sich das Messer genau an. Ein großes, scharfes Messer. Man kann die Adern wirklich in einem Zug durchschneiden. Es besteht also keine Gefahr, das man mehrere Anläufe macht und dann doch kneift. Und es war sehr scharf, was bedeute, das der Schnitt auch nicht sehr weh tat. Ich hasse Schmerzen... Könnte sie es? Alle im Stich lassen? Wieso alle? Wen würde ich denn überhaupt im Stich lassen? Ich bin es doch, die alleine gelassen wird. Vorsichtig strich sie sich mit der stumpfen Seite des Messers über die Handgelenke. Ein kühles Streicheln nur, regelrecht beruhigend und hypnotisch, ganz sanft nur... Verbluten soll eigentlich ganz angenehm sein. Man schläft irgendwann friedlich ein. Je mehr sie nach Gründen suchte es nicht zu tun, um so weniger vielen ihr dafür ein. Trotz das sie nur Psychologin war, wusste sie durchaus, wie man sich die Pulsadern aufschneiden musste, damit man auch wirklich draufging. Heute würde auch keiner Vorbeischen und ihre Pläne zunichtemachen. Die Post war schon da. Und auch sonst hatte sie keine Verabredung. Eigentlich der ideale Tag. Einen Abschiedsbrief sollte ich schon schreiben. Der Gedanke kam automatisch. Natürlich brauchte sie einen Abschiedsbrief. Jeder Selbstmörder hat einen. Daher brauchte sie auch einen. Sie legte das Messer neben sich auf den Küchentisch und suchte sich ein Blatt Papier (Ob das wohl reicht?) und einen Stift und fing an zu schreiben: „Liebe Leute,“ Sie liess wieder einmal den Blick durch die Küche streifen. „Liebe Leute, ich habe heute beschlossen mit das Leben zu nehmen.“ Ja, das klingt gut. Sie wollte alles niederschreiben, was sie die letzten Jahre gestört hat, warum sie soweit gegangen ist, was sie bewegt und bedrückt und warum sie einfach nicht mehr weiterleben mag. All das, eine Abrechnung mit sich, mit der Welt, mit ihrem Mann, ihrer Tochter und allen anderen. Aber je länger sie auf dieses Blatt Papier starrte um so weniger viel ihr ein. Sie hatte soviel zu sagen. Aber eigentlich war ihr völlig egal ob jemand anderes sie verstand oder nicht. Insbesondere Ihr Mann. Und ihre Tochter. Oder gar der Rest der Welt. Es war einfach egal. Ich werde doch nicht jetzt eine Antriebsstörung bekommen... Tatsächlich legte sie den Stift wieder hin und nahm stattdessen das Messer in die Hand. Sie legte es auf ihr linkes Handgelenk und drückte vorsichtig die Schneide ins Fleisch. Ein kühler Hauch ließ ihr eine Gänsehaut über den Arm fahren. Mit einem tiefen Atemzug wollte sie das Messer durch die Haut treiben. Aber sie konnte nur ein kleines Stück weit ziehen. Dunkel quoll ein Tropfen Blut aus der Schnittwunde in ihrem Handgelenk. Aus Reflex heraus hatte sie das Messer weggezogen und starrte nur auf den roten Lebenssaft der langsam auf den Küchentisch tropfte. Nach einer halben Minute hat es auch schon aufgehört zu bluten, der Schnitt war bei weitem nicht tief genug. Sie blickte nochmals auf Ihren angefangenen Abschiedsbrief. Und fasste einen Entschluß. Mit stählerner Entschlossenheit im Blick setzte sie das lange, scharfe Messer am linken Handgelenk an. Und zog die Schneide in einer einzigen kraftvollen Bewegung über ihr Handgelenk. Dank wechselte sie das Messer in die linke Hand und wiederholte die Bewegung an der rechten Hand. Das Leben quoll blutrot aus ihr heraus und formte einen See auf dem Küchentisch um dann in einem langsamen fluss vom Tisch auf den Fußboden zu laufen. Sie spürte wie des Blut floß und mit Ihm vielen ihre Sorgen und Nöte von ihr ab. Mit jedem pulsierenden Schwall der aus ihr herauslief fühlte sie sich freier leichter, als würden ihr alle Lasten von den Schultern genommen. Warum habe ich damit eigentlich so lange gewartet? Der See unter dem Küchentisch hatte bereits beachtliche Ausmaße angenommen als sie langsam bemerkte, dass sie müde wurde. Jetzt schlafe ich wohl gleich ein. Eine schöne Art zu gehen... Müde sank ihr Kopf auf die Tischplatte. Das klebrige Blut in ihrem Gesicht störte sie nicht weiter, sie wollte nur noch schlafen...

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