Hasen

Es gab da diesen Typen. Der wurde von allen nur „Der Hase“ genannt. Manche sagten es wäre wegen seinen großen Füssen und weil er irgendwie immer hoppelte statt normal ging. Aber die Mehrzahl der Leute war der Ansicht das war weil er wie die Hasen rammelte – er rannte wild irgendwelchen Frauen für Ewigkeiten nach und dann dauerte die ganze Sache keine dreissig Sekunden. Naja, auch egal, wo sein Name herkam ging mich auch gar nichts an. Ich sollte mich mit ihm heute abend Treffen. Punkt 2300 am Nachrichtencafé. Warum auch immer die Idioten immer einen so dämlichen Treffpunkt ausmachten. Ich sehe schon lange nicht mehr aus wie ein Student. Nicht mehr seit die Typen aussehen als würden Sie ins Büro gehen und nicht an die Uni. Als ich jung war, da ging man auf die Uni und verstand es als Protest gegen alles Spießige so rumzulaufen, das den Schlipsträgern sofort Angst und Bange wurde und sie die Strassenseite wechselte wenn sie uns sahen. 'Langhaarige Bombenleger' waren wird. Nicht immer zu unrecht. Nicht das ich jemals dazugehörte. Also zu den Studenten. Aber die langen Haare kamen bei den Mädels damals gut an und ausserdem waren sie eine gute ausrede für den zweiten Teil des Vorurteils. „Streichholz-Schmidt“ hiess unsere WG. Mag wohl an unserer Vorliebe für Schwarzpulver und diese wunderbaren unberechenbaren Abbrandzüngschnüre gelegen haben. Man war nie sicher ob man weit genug weg war oder schnell genug wegkam bevor das Teil hochging.
Heute wechseln auch noch viele Leute die Strassenseite wenn sie mich sehen. Wohl nicht mehr weil ich aussehe wie ein Student. Für lange Haar – ausser vielleicht in der Nase – reichts nicht mehr. Dazu kam dann diese eine Zündschnur, die natürlich viel zu kurz war. Und wir waren ziemlich zugedröhnt als wir unsere Mischung gemacht haben. Irgendwie kam da alles rein was wir noch rumliegen hatte. War wohl ein bischen viel. Jedenfalls sehe ich seit dem nicht mehr so gut aus. Hat mich viel bei den Mädels gekostet. Und als Empfangschef werde ich wohl auch nicht mehr arbeiten. Ich bin eher sowas wie ein Ausgangshelfer. Für die Leute die nicht wissen wie man rausfindet. Mein Arbeitgeber interessiert sich nicht für mein Aussehen. Ehrlichgesagt glaube ich nicht das er weiss wie ich aussehe. Wir kommunizieren nur schriftlich miteinerander.
Heute war ein Brief im Kasten. Wie immer kein Absender, nur eine gedruckte Notiz ohne verräterische Handschrift. Uhrzeit, ein Name. Und natürlich eine Anzahlung.
Die Höhe hat mich dann doch überrascht. Scheint kein normaler Auftrag zu sein. 2000 Steine. Wie immer alte zerknitterte Noten. Eine Menge Geld für ein Treffen. Mal sehen was es diesmal ist.
Ich sehe den Hasen schon von weitem anhoppeln. Treffender kann man seinen Schritt nicht beschreiben. Und die Wampe die er vor sich herbalanciert wird durch den Trainingsanzug auch nicht gerade kaschiert. Er scheint auch genau zu wissen zu wem er will, weil er ohne Umschweife auf mich zukommt.
„Mitkommen“.
Okay, ich hätte es ja erst mal mit einem „Guten Tag“ versucht, schliesslich kommt er zwanzig Minuten zu spät. Nicht das ich noch was anderes vorhätte.
Wir laufen ein wenig durch Bockenheim und landen vor einem der Häuser, die aussehen als hätten sie schon vor dem zweiten Weltkrieg gestanden. Die Namensschilder auf den Klingeln sind kaum leserlich, aber wer in so einem Haus wohnt bekommt auch nicht viel Post. In seiner Wohnung – wenn es denn seine ist – wartet ein anderer Typ auf uns. Den habe ich noch nie gesehen. In einer Ecke des Raumes steht zwei Kartons, die irgendwie nicht hierher passen. Geht mich nichts an, aber macht mich neugierig.
„Die Kiste musst Du wegschaffen.“ Der Typ deutet mit dem Daumen in die Richtung der Kisten.
„Sehe ich aus wie der Müllmann?“
„Definitiv.“
Das Schweigen dehnt sich immer länger. Eigentlich hat er ja recht.
„Bin ich aber nicht.“
„Ab jetzt schon.“ sagt der Typ mit einem Grinsen wie man es von einem Hai erwartet hätte.
„Und wohin soll ich die Kiste bringen?“
„Entsorgen, so weit weg wie möglich.“
Ich zucke mit den Schultern und will gerade fragen was denn in dem Karton ist, da klingelt das Handy des Typens. Er geht rand, tuschelt kurz rein und schaut mich an „Nimm den Karton und verpiss Dich.“ Es geht doch nichts über die höflichen Umgangsformen in Frankfurt. Ich greife mir den Karton der leichter ist, wobei leichter relativ ist. Den Hasen sehe ich nicht mehr, ist wahrscheinlich wieder rausgehoppelt.
Zurück auf der Strasse stelle ich nach ein paar Metern fest, das die Kiste verdammt schwer ist. Ich muss mir etwas überlegen, denke ich mir dabei. So komme ich nicht weit.
Nach scheinbar unendlichen weiten 200 Metern stelle ich an der Adalbertstrasse die Kiste ab. Ich bin schon schweißgebaded von dem kurzen Stück. Wie weit ist „so weit weg wie möglich“ eigentlich? Leipziger Strasse? Der Main? Offenbach? Oder richtig weit weg?
Ich beschliesse von der Anzahlung ein Taxi zu nehmen. Davon gibt es hier zum Glück reichlich. Es hält auch sofort eines. Ich lasse mich zum Hauptbahnhof fahren. Dort steige ich mit meiner Kiste in den nächsten Zug nach Paris. Da wollte ich schon immer mal hin. Da meine Anzahlung großzügig war, setze ich mich in die Erste Klasse. Die anderen Fahrgäste schauen mich komisch an, aber daran das ich seit drei Tagen nicht mehr geduscht habe kann es nicht liegen. Oder an den Sachen die ich ebenso lang anhabe auch nicht. Müssen wohl einfach unfreundliche Leute sein.
Da ich keine Lust habe an der Nächsten Station von der Polizei aus dem Zug geworfen zu werden, schnappe ich mir den Schaffner bevor der Zug losfährt und löse meine Fahrkarte. Wir sind noch nicht ganz aus dem Bahnhof draussen, da fange ich an zu dösen und schlafe schliesslich richtig ein. Erstaunlicherweise schlafe ich richtig gut bis Châlons-en-Champagne. Kaum bin ich aufgewacht kommt die Kaffeetante vorbei und ich kaufe mir einen leckeren Kaffee. Ist zwar kein White Choclate Mocha Extra Shot, kostet dafür aber auch nur drei Euros. Scheint ein guter Tag zu sein. Die Zugfahrt dauert gerade mal vier Stunden und an der Gare de l'Est studiere ich mit meiner Kiste den Plan der Métro und beschliesse dann zu re de Saint-Denis zu fahren. In der nähe des centre Pompidu war das nicht nur eine der billigsten Möglichkeiten abzusteigen ohne das jemand Fragen stellt, das war auch gleich der Strassenstrich. Die Anzahlung will ja gut angelegt sein. Dort wollte ich mir dann überlegen was ich mit der Kiste mache.
Nach einer weile Kistenschlepperei und rumgefrage in gebrochenem Französisch finde ich endlich eine deutschsprachige Nutte die wohl aus Belgien kommt wie sie mir erzählt. Jetzt habe ich ein Zimmer für eine Woche für zweihundert Euro. Ich nehme an, das sie die Hälfte einstreicht, aber das ist mir egal. Solange ich hier erst mal bleiben kann. Sie wollte wohl auch mehr von mir, kaum zu glauben, aber dieser Hundeblick mit dem sie mich angeschaut hat... Egal, von einem Belgier eine Wohnung mieten ist eine Sache, aber ich bleibe treu dem Spruch „trau keinem Belgier“ und werfe sie raus. Hat mich einen extra zwanziger gekostet, aber endlich war ich allein. Eine gute Gelegenheit in die Kiste zu schauen um mir zu überlegen wie ich die am besten loswerde.
Der Anblick trifft mich wie ein Schlag. In der Kiste befindet sich ein Käfig mit zwei Hasenbabys. Oder Kaninchen. Was weiss ich, sie sind klein, braun, pelzig und knabbern an einer viel zu grossen Möhre. Nicht nur das ich Müllmann spielen soll, die Typen sind nicht mal in der Lage so ein paar blöde Viecher zu entsorgen?
Am Käfig hängt ein Brief, das müssen wohl meine Anweisungen sein. Was ein totaler Blödsinn. Aber egal, Geld ist Geld. Der Umschlag sieht etwas dünn aus für den Rest, wenn ich schon 2000 Mücken als Anzahlung bekommen habe. Im Scherz denke ich „vielleicht ein Scheck?“.
Da ich den Brief nicht abbekomme, solange der Käfig in der Kiste ist hebe ich ihn eher unsanft aus dem Karton und stelle ihn auf den Boden. Dann ist der zweite Schock fällig. Unter dem Käfig ist alles andere als der übliche Kram, keine in Tuch gewickelte Knarre, keine Dokumente, nichteinmal eine abhackte Hand oder so. Sondern bares. Gebündelt. Jede Menge davon. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Bargeld loszuwerden ist nun wirklich ein Thema. Das würde aber nicht erklären warum sie jemanden dafür Bezahlen. Ich denke erst an Blüten, aber die Scheine sehen absolut echt aus. Es sind etliche Bündel, große Scheine, kleine Scheine, vom fünfer bis zum fünfhunderter. Ich habe noch nie soviel Geld auf einem Haufen gesehen.
Es dauert eine Weile bis ich meinen Schock überwunden habe und mich an den Brief am Käfig erinnere. Ich mache den Brief ab und finde nur eine Karte.
„Alles Gute zum Geburtstag Delphine“
„Was geht hier ab!“ rufe ich heraus. Ich heisse nicht Delphine. Die einzige die ich kenne mit so einem bescheuerten Namen ist...
Das nächste was ich weiss ist das ich verzweifelt Luft schnappend auf dem Boden neben der Kiste sitze. Die einzige die ich mit diesem Namen kenne ich die Tochter von „Jacques der Franzose“. Das ist nicht ein netter, Baguette fressender Wirt eines Nobelrestaurants – auch wenn er mehrere davon besitzt – sondern eine ganz grosse Nummer im Drogenhandel. Ich hatte gehört das er in Frankfurt aktiv geworden ist und bereits etliche seiner Konkurrenten aus dem Weg hat räumen lassen. Er hat sich wohl sogar mit der Russenmafia angelegt, oder wollte es zumindest. Es hiess er wollte „Omon“, dem lokalen Kopf der Russen, seine Familie in Scheiben servieren.
Ich bin ein toter Mann. Das muss die falsche Kiste sein. Der Typ der sie mir gegeben hat, hat wohl die andere Kiste gemeint, und in dieser Kiste ist das Ergebnis eines Deals.
„*****.“
Ich bin tot. Ich weiss es nur noch nicht. Sie werden mich finden. Und dann werden sie MICH in Scheiben schneiden. Ganz langsam.
„Dreck, Dreck, Dreck!“

Das Appartment in der am Quai Saint-Michel hat einen wunderschönen Ausblick auf die Seine. Zwar nur zwei Zimmer, aber ich habe es bar bezahlt. Zum Glück ist das üblich hier. Das Geld was in der Kiste war hat dafür locker gereicht. Und auch dafür mir ein schönes Leben in Paris zu machen für eine lange Zeit. Ich habe mit dem Trinken aufgehört. Also eher mit dem Saufen, weil auf den Rotwein zu verzichten wäre eine Sünde. Mein Job beim Louvre als Nachtwächter ist vielleicht nicht gut bezahlt, aber er hält mich von der Strasse fern. Natürlich kennen die nicht meine richtige Adresse, ich hole alles Postlagernd in Saint Denis ab. Das passt eher zu einem armen Nachtwächter. In der Zeitung habe ich gelesen, das es wohl ein regelrechtes Massaker gab. Die Polizei konnte leider nicht verhindern das „Jacques“ einen Typen nicht nur abgeschlachtet hat, sondern seine Organe im Rebstockpark verteilt, das sie den eine Woche sperren mussten um Sauberzumachen. Die Russen waren übrigens auch nicht begeistern davon, einen ihrer Leute in Scheiben zu finden, „Jacques“ leistet ihm jetzt Gesellschaft.
Ich versucht nicht zu oft daran zu denken, was wäre wenn die Kiste nicht so schwer gewesen wäre, ich zu Fuß unterwegs oder in Frankfurt geblieben. Aber die beiden Hasen habe ich noch, und bin überzeugt das sie mir Glück gebracht haben. Jacques Tochter wird sicher andere Probleme haben, als an die Hasen zu denken. Ich jedenfalls lege wie jeden Abend zwei schöne Möhren in den Käfig, fülle den Wasserspender nach und gehe beschwingt zur Arbeit. Irgendwie habe ich auch angefangen zu hoppeln...

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