Der Bauernhof

Die Sonne kitzelt in meiner Nase und ein Schmetterling setzt sich auf meine Hand wie eine Blume, so zart, so sanft, so zerbrechlich. Kaum zu glauben das sowas aus der Nähe betrachtet auch einfach nur ein häßliches Insekt ist. Ich wische ihn mit einer Handbewegung weg. Wenn die Insekten nicht wären, wäre der Sommer wirklich erträglich. Oder die Vögel. Blödes Pack. Macht einen Heidenlärm wenn man noch schlafen will, weil man die ganze Nacht unterwegs war, durch die Kneipen gezogen und verzweifelt versucht hat irgendeine Tussi abzuschleppen. Und alles was man erreicht war, ist sich die Birne zuzusaufen und sein restliches Geld in Zigaretten zu investieren die eh nicht schmecken.
Das Leben ist ein Drecksloch. Heute muss ich wieder los, zusehen ob ich den Job am Hafen bekomme, wenigstens heute. Die Kasse ist knapp und ich muss schliesslich Geld auftreiben, damit ich abends um die Häuser ziehen kann. Vielleicht habe ich diesmal Erfolg. Naja, wohl kaum. Typen wie ich schaffen das eh nicht. Letztendlich müssen die Tussis schon genaus verzweifelt sein wie ich. Und das ist wirklich verzweifelt. Wenn ich den Mund aufmachen würde, würde mir der Sabber wohl aus den Ohren kommen.
Egal. Ich greife mir eine T-Shirt, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Ist aber lange her. Genau wie die letzte Wäsche. Ist trotzdem das sauberste was ich habe. Eigentlich ist es morgends einträglicher, wenn die Kutter reinkommen. Sind nicht so viele Leute draussen um drei Uhr morgends. Die meisten sind genauso Flaschen wie ich. Und kommen vor sieben nicht heim. Also bleibt einem nur der Drecksjob beim Aufräumen der Fischhalle. Wenigstens kann man da was zu essen mitnehmen. Wenn man auf gammeligen Fisch steht.
Um halb ein stehe ich mit den anderen Loosern am Pier und versuche mir einzureden das es mir noch nicht so schlecht geht wie den Typen die hier rumstehen. Der Blick vom Vorarbeiter sagt was anderes. Schliesslich nimmt er drei Typen, ich bin wieder nicht dabei. Ich überlege kurz ob ich ihm eine in die Fresse haue. Wäre aber schlecht, das habe ich vor ein paar Monaten schon mal gemacht. Hatte dann Hafenverbot. Zum Glück hat der Vorarbeiter gewechselt. Naja, kein Wunder, war recht übel.
Statt heimzugehen bleiben wir Verlierer am Pier. Einer hat eine Flasche dabei und lässt sie rumgehen. Schmeckt wie Terpentin. Ist wahrscheinlich auch welches. Egal. Ich bin längst nicht mehr in der Situation wählerisch zu sein.
Als die Flasche sich langsam dem Ende zuneigt kommt ein weisser Benz den Pier entlang. Sieht man nicht oft hier. Normalerweise schlechte Nachrichten. Der Wagen hält direkt vor uns. Das Fahrerfenster fährt herunter, elektrisch natürlich. Bei einem Benz fährt das nicht einfach herunter wie, sagen wir, bei einem Opel. Es gleitet. Und das Geräusch wie es macht klingt nach Geld. Angeber. Die Hackfresse die dahinter zum Vorschein kommt mustert uns als ob wir Fischabfälle wären. Die Ähnlichkeit kann ich nachvollziehen. Trotzdem versuchen wir alle möglichst Nüchtern auszusehen. Mir fällt das recht schwer.
Der Typ schaut mich jetzt direkt an und deutet mich und zwei andere Kerle raus, macht uns ein Zeichen das wir einsteigen sollen. Kurz überlege ich zu fragen warum, aber ein Achselzucken später sitze ich schon auf dem Rücksitz. Neben mir die beiden anderen stinkenden Kerle. Wir fahren durch die halbe Stadt bis wir vor einem Club landen. Früher war ich auch mal hier, aber mittlerweile komme ich ins „Casino“ nicht mehr rein. Hätte dem Türsteher wohl nicht die Fresse polieren sollen.
Durch den Hintereingang gelangen wir ins Lager. Der Typ aus dem Auto lässt uns wortlos stehen, reden ist wohl nicht seine Stärke. Nach ein paar Minuten tauchen zwei andere Typen Marke „Maul halten und arbeiten“ zur Tür rein und erklären uns, das wir einen Haufen Kisten in einen LKW hinter dem Club laden sollen. Ich schnappe mir eine Kiste und fange an zu laden.
Nach drei anstrengen Stunden sind alle Kisten im LKW und wir bekommen gesagt das wir in den LKW einsteigen sollen und beim Ausladen helfen. Wird immer seltsamer. Ich denke es ist zu spät nach der Bezahlung zu fragen. Wird schon werden.
Zwei endlose Stunden später befinden wir uns vor einem Bauernhof auf dem Land. Die Kisten müssen wir in die Scheune schaffen. Ich bin mittlerweile wieder nüchtern und muss dringen pissen. Also frage ich einen der Typen wo ich mal könnte. Er führt mich ins Haus und stellt sich tatsächlich vor die Tür. Ich lasse mir Zeit als ich höre wie er draussen angequatscht wird. Ewig kann ich es auch nicht mehr rauszögern, wieder zurückzugehen, also tue ich so als ob ich mir die Hände wasche und will gerade zurück zum LKW, da merke ich das der Typ gar nicht mehr vor der Tür steht. Zeit für einen Ausflug...
Ich schleiche mich vorsichtig durchs Haus und versuche herauszufinden wo wir sind. Sieht nach einem ganz normalen Bauernhaus aus. Im Wohnzimmer ist es dunkel, aber die Rolläden sind offen, ich kann den Hof sehen. Anscheinend haben die anderen beiden den LKW leergeräumt, jedenfalls verschwinden sie in der Scheune und der LKW wird gerade wieder zugemacht. Dann steigt der andere Typ, der der nicht vor dem Bad stand, ein und fährt den LKW weg. Langsam wird’s seltsam, wie sollen wir zurückkommen, denke ich. Ich will gerade das Wohnzimmer verlassen, da stößt mein Fuß an was weiches. Erst denke ich Hundekacke, dann sehe ich das es eine Hand ist. Eine ziemlich schwielige Hand. Der Mann der dranhängt ist mindestens siebzig und war wohl hier der Bauer. Und ausserdem hat er versucht eine Kugel mit dem Kopf zu fangen. Spontan gebe ich das wenige von meinem Mageninhalt her und knie neben ihm. 'Die haben ihn abgeknallt!'
Zwei dumpfe Schläge aus der Scheune reissen mich aus meiner Lethargie und machen mir klar, das mir dasselbe passiert, wenn ich nicht gleich was mache. Durch das Fenster sehe ich wie der Typ vom Badezimmer in Richtung Haus läuft. Hat anscheinend mich doch nicht vergessen.
Ich sehe zu das ich hier verschwinde. Zum Glück hat das Haus einen hinterausgang, an dem niemand steht. Und hinter dem Haus ist ein kleines Wäldchen, in das ich mich erst mal verdrücke. Es wird irgendwie gerade hektisch. Zwei andere Autos sind vorgefahren. Die beiden Typen die uns abgeholt haben sind irgendwie nervös geworden. Kein Wunder, hat sich einer aus der arbeitenden Bevölkerung verabschiedet. Aus den Autos tauchen wieder ein paar Männer auf, die so aussehen als ob sie nicht wirklich diskussionsfähig wären. Ich beschliesse das das Wäldchen vorerst ein guter Platz ist.
Es wird laut auf dem Bauernhof, anscheinend haben sie gebeichtet. Oder es geht um was anderes. Ein paar von den neuen Typen verschwindet in der Scheune, ein paar bleiben draussen. Die aus der Scheune kommen nach einer Ewigkeit wieder und gehen an eines der Autos, anscheinend unterhalten sie sich mit jemanden auf dem Rücksitz. Zwei Koffer tauchen aus einem der Autos auf, die zwei Typen – ich nenne sie mal liebevoll meine Typen – öffnen sie und klappen sie dann wieder zu. Ein neuer Streit bricht aus. Anscheinend geht da irgendein krummer Deal ab und jemand versucht jemanden zu bescheissen. Scheint echt heiß herzugehen. Ich bin gerade so richtig entspannt von meiner Waldposition aus, da fängt einer meiner Typen wild an zu ballern. Ruckzug ist die Hölle los, es geht total durcheinander. Der Wagen mit dem Typen auf dem Rücksitz fährt mit Vollgas aus dem Hof, und Minuten später bewegt sich keiner mehr im Hof.
Auch die zwanzig Minuten später, die ich im Wald sitze und beobachte passiert nichts. Ich beschliesse mir die Sache mal aus der Nähe anzuschauen.
Der erste Koffer enthält Geld. Viel Geld. Der Andere etwas das ich mir lieber nicht angeschaut hätte. Es kann nämlich Grinsen und sieht nicht so glücklich aus. Ein Kopf einer Frau. So eine Sauerrei. Nachdem ich eine Weile überlegt habe, nehme ich mir den Geldkoffer und laufe durch den Wald, bis ich an eine Strasse komme. Ein LKW nimmt mich als Anhalter mit und bald bin ich wieder in meiner Stadt. Komischerweise habe ich in den Nachrichten oder der Zeitung nichts darüber gehört. Irgendwie seltsam. Ich beschliesse erst mal eine Weile meine Wohnung nicht zu verlassen.
Frisch rasiert und mit sauberen Klamotten komme ich in den Klub. Okay, ich bin älter als die meisten hier. Aber in diesem Klub zählt auch eher das Geld als das Alter. Jedenfalls ist das kein Problem bei den Mädels. Die fliegen geradezu auf mich. Sicher, ich lassen abends auch einiges an Drinks springen. Aber mir ist das egal. Das Geld in dem Koffer war echt. Meine Klamotten sind echt. Nur die Rolex am Arm ist falsch, das hatte ich dann nicht eingesehen mit eine echte zu kaufen, vor allem nicht nachdem ich den Preis in Drinks umgerechnet habe. Merkt hier eh keiner. Ich jedenfalls geniesse den Frühling. Nur manchmal frage ich mich was das auf dem Bauernhof eigentlich war. Egal, geht mich nichts an....

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